»Radio kann jeder, der das wirklich möchte!« - Praxiskiste
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»Radio kann jeder, der das wirklich möchte!«

Manch einer mag angesichts der Bilderflut im Netz vermuten, das Radio sei ein sterbendes Medium. Doch die Radio-Branche sieht sich keineswegs gefährdet, sondern lediglich in einem Wandel – was auch die seit Jahrzehnten gleichbleibenden Zahlen bestätigen. Evelyne Lenhardt ist Radiomoderatorin bei dem lokalen Radiosender das neue radio neckarburg und spricht im Interview über ihren Weg zum Radio, ihren Arbeitsalltag und die Zukunft des Hörfunks.

 

Praxiskiste: Evelyne, du hast sowohl bei der Zeitung als auch beim Fernsehen gearbeitet und verschiedene Praktika gemacht. Jetzt bist du hier beim Radio. Spielt das Medium überhaupt eine Rolle für dich?

Evelyne Lenhardt: Ja, auf jeden Fall. Wobei ich mich zuerst nicht entscheiden konnte, welchen Weg ich gehen möchte. Ich habe vor meinem Studium ein Praktikum bei einer Zeitung gemacht und fand das alles sehr aufregend. Um einen Schritt weiter zu gehen, bin ich dann zum Radio, denn das hat mich schon als Kind immer interessiert. Mich hat es begeistert, wie selbstbewusst die Moderatoren sprechen. Genau das wollte ich auch. Im Anschluss bin ich dann noch zum Fernsehen. Dort wurde mir deutlich, dass ich eine Kombination aus Schreiben und Sprechen möchte.

Nachdem du wusstest, dass du zum Radio willst, wie bist du vorgegangen?

Mir wurde während meiner Praktika klar, dass ich ein Volontariat anstrebe. Voraussetzung dafür war aber ein abgeschlossenes Studium. Mit meinem Abitur von 3,0 war ein Studium im Medienbereich aber gar nicht so einfach. Das war sehr niederschmetternd für mich. Da wusste ich endlich was ich wollte, konnte es aber nicht studieren. Viele Leute wissen einfach gar nicht, was sie für ein Glück mit ihrem Studium haben. Deswegen habe ich dann Medien- und Bildungsmanagement in Ravensburg studiert, hierfür gab es keinen NC.

Wie hat dich dein Studium auf deinen Beruf vorbereitet?

Ich habe schon im ersten Semester gemerkt, dass mein Studium vieles beinhaltet, das gar nichts mit der Arbeit bei einem Radiosender zu tun hat. Während dem Studium habe ich weiterhin Stellenanzeigen für Volontariate gesucht und gemerkt, dass ein Studium nun nicht mehr zwingend Voraussetzung ist. Ich war dann in einem Zwiespalt, habe mich aber dazu entschieden, das Studium abzuschließen. Während dem Studium habe ich dann noch ein Praktikum bei der Badischen Zeitung und bei Pro Sieben, Galileo, gemacht. Da ich näher an den Menschen sein und mehr mit meiner Stimme arbeiten möchte, habe ich mich endgültig für das Radio entschieden.

Durch deine Praktika hast du verschiedene Bereiche der Medienwelt kennengelernt. Bist du der Meinung, dass die breite Orientierung heute überhaupt noch Sinn macht oder sollte man sich früh auf einen Bereich fokussieren?

Für die Medienwelt muss man brennen. Und wie soll man dieses Brennen entwickeln, wenn man sich vorher nichts angeschaut hat. Ich kann es jedem nur ans Herz legen, wenn man nicht genau weiß wohin man will, dass man so viel wie möglich ausprobiert. Bei der Zeitung habe ich schreiben und recherchieren gelernt – wichtige Fähigkeiten, die ich auch heute brauche. Beim Radio habe ich viel an Selbstbewusstsein gewonnen und gelernt, offen auf Menschen zuzugehen. Beim Fernsehen habe ich mich eher als Kamerafrau, nicht als Redakteurin, gesehen

Böse Zungen behaupten, das Radio sei ein sterbendes Medium. Die wenigsten entscheiden sich bewusst dazu, Radio zu hören. So wird es zum Begleitmedium degradiert. Was sind deiner Meinung nach Argumente, die für den Hörfunk als ein wichtiges und auch durchaus langlebiges Medium sprechen?

Ich finde nicht, dass es eine Degradierung ist, wenn ein Medium nur nebenbei genutzt wird. Warum hören die Menschen Radio? Sie schalten in der Regel nicht ein, weil wir Gewinnspiele machen oder wegen einem bestimmten Moderator. Die Menschen hören Radio in erster Linie wegen der Musik. Natürlich kann man jetzt argumentieren, dass es Streamingdienste dafür gibt. Aber kein Streamingdienst kann Emotionen so übertragen, wie wir im Radio. Auch die Lokalität wird immer wichtiger. Die Leute wollen wissen, was hier direkt passiert. Wenn man die beiden Aspekte, Emotion und Lokalität, betrachtet, dann werde ich noch 80 Jahre beim Radio arbeiten.

Wie muss der Inhalt gestaltet sein, damit der Hörer aufmerksam das Radio hört?

Du hast es schon angesprochen, das Radio ist und bleibt ein Begleitmedium. Natürlich möchte man, dass die Leute die Themen, die man bringt, auch hören. Da gibt es dann kleine Tricks beim Moderieren. Man kann beispielsweise mit sogenannten Ear-Catchern arbeiten. Ich habe vor kurzem einen Beitrag über Esel gemacht und das Wiehern eines Esels gespielt. Das ist dann ein Hinhörer. Man kann aber auch mit der Stimme und der Betonung der Wörter spielen. Mit der Zeit entwickelt aber jeder Moderator seinen eigenen Stil und je nachdem ob dem Hörer dieser Stil gefällt, wird er auch hinhören

Auf welche Dinge musst du bei themenbezogenen Moderationen besonders achten?

Jedes Lied ist von irgendjemanden das Lieblingslied. Das heißt jedes Mal, wenn du dein Mikrofon anmachst und sprichst, musst du einen Grund haben, warum du die Musik unterbrichst. Klar, das Lied läuft zu Ende, aber bevor es weiter geht unterbrichst du die Schleife. Deswegen ist es besser, man spricht über Themen, die für den Hörer eine Relevanz haben.

Hast du eine besondere Sprechausbildung gemacht? Oder denkst du, dass prinzipiell jeder eine Stimme für das Radio haben kann?

Ich denke, Radio kann jeder, der das wirklich möchte. Ich glaube nicht, dass jemand mit einem bestimmten Talent auf die Welt gekommen ist. Abgesehen davon, bekommen wir hier jeden Monat ein Sprechtraining. Wir analysieren, gemeinsam mit einem Coach, die Sendungen und trainieren die Stimmbildung.

Welche Herausforderungen ergeben sich in deinem Arbeitsalltag?

Die größte Herausforderung ist die Themenplanung. Man muss jeden Tag aufs Neue abschätzen, welches Thema man macht, warum und ob es zum Hörer passt. Unsere Region ist ländlicher, daher passiert vor Ort nicht die Welt. Die Herausforderung ist dann, ein Thema aus aller Welt zu nehmen und dazu eine lokale Relevanz zu erstellen. Neben der Sendung darf ich auch eigene Projekte und Aktionen durchführen. Es ist toll, wenn man vor Ort die Hörer kennenlernt. Das kann man dann am nächsten Tag in die Sendung einbauen.

Das neue radio neckarburg ist ein lokaler Radiosender. Erst vor zwei Jahren fand der große Relaunch statt. War das mutig?

Es kommt noch besser an, als wir es uns zu denken getraut hätten. Wir haben steigende Hörerzahlen. Einer der Grundlagen des Relaunches war die Feststellung, dass die Hörer in der Region keinen eigenen lokalen Radiosender haben. Das sollte geändert werden.

Also hat lokales Radio eine Chance?

Die Lokalität ist wichtig geworden. Deswegen steht unser Studio auch mitten in der Stadt von Rottweil. Unsere Tür ist immer offen. Mindestens einmal in der Woche kommt jemand und fragt, ob er nicht mal unser Studio sehen darf. Oder einfach um zu sagen, dass er uns toll findet. Bei welchem Radiosender ist das schon so?

Welche Rolle hast du beim Relaunch gespielt?

Zum einen als Moderatorin der Morning Show, aber auch bei der Entwicklung eigener Projekte. Mein erstes eigenes Projekt war die Tierzeit. Ich rede jede Woche mit dem Tierschutzverein über ein lokales Tierthema und wir stellen heimatlose Tiere vor. Ich habe auch einige Medienpartnerschaften organisiert. Als Moderatorin bin ich für die Menschen zwischen sechs und zehn Uhr da und meine Rolle ist es, die Menschen wach zu machen und vielleicht auch mit lustigen Themen zu amüsieren.

Lokale Radiosender werden oft auch als Sprungbrett genutzt, um Erfahrungen zu sammeln und um eine erste Qualifikation zu erarbeiten. Ist das neue radio neckarburg für dich lediglich ein solches Sprungbrett?

Mein Ziel – nach dem Volontariat – war es immer, übernommen zu werden, um direkt Berufserfahrung zu sammeln. Dafür habe ich mich sehr bemüht und viel Herzblut investiert. Vielleicht werde ich, irgendwann, noch was anderes machen. Aber das sehe ich im Moment noch nicht. Im Moment sehe ich mich hier bei Neckarburg. Gerne auch Jahre. Ich hatte das Privileg diesen Sender mit aufzubauen und wer kann das schon in meinem Alter von sich behaupten?

Damals, als du das Volontariat hier angefangen hast, war der Sender noch im Aufbau. War das für dich abschreckend, da alles noch unsicher und der Sender so klein war oder hast du genau darin die Herausforderung gesehen?

Letzteres, auf jeden Fall. Ich hatte nie Angst davor, sondern konnte mein Glück nicht glauben, dass ich meinen Traum, hier in der Heimat, verwirklichen kann. Aber es gab auch Zeiten, die nicht einfach waren. Der Sender war noch im Aufbau und dadurch hat man auch mehr Aufgaben. Viele denken sich, sie machen das große Geld und die große Karriere nur bei einem großen Sender. Dem muss ich aber ganz klar widersprechen. Ich habe hier in einem kurzen Zeitraum so viele Dinge gelernt, die man bei einem großen Sender höchstwahrscheinlich nicht so schnell lernt. Meiner Meinung bestimmt die Größe des Senders auch nicht zwingend das Gehalt. Trotzdem gibt es viele, die das glauben und sich deshalb erst gar nicht bei einem lokalen Sender bewerben, was schade ist.

Welche Tipps würdest du unseren Lesern geben, wenn sie sich selbst für den Beruf Radiomoderation interessieren?

Ich würde Ihnen raten, Praktika zu machen wo es nur geht, damit sei sich auch ganz bewusst für den Beruf entscheiden können. Ich sehe es hier bei unseren Praktikanten, die zwar viel Freude bei der Arbeit haben, sich dann aber doch dazu entscheiden, Steuerberater zu werden – was an sich ja gar nicht schlimm ist. Und vor allem: dranbleiben und nie aufgeben. Es werden sicherlich Absagen kommen und man wird von manchen belächelt werden. Aber es ist wichtig, für seinen Traum zu kämpfen. Jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich und wenn man etwas wirklich erreichen will, dann erreicht man das auch.

 

Evelyne Lenhardt ist Moderatorin der Morning Show bei das neue radio nackarburg. Sowohl vor, als auch während ihrem Studium im Medien- und Bildungsmanagement, arbeitete sie als Praktikantin unter anderem bei ProSieben Galileo, BZ Extra und auch Radio7. Nach ihrem Studium, zog sie es wieder zurück in die Heimat und sie ist sehr glücklich, dass sie die Möglichkeit hat, hier in ihrem Traumberuf zu arbeiten.

 

Zur Person
Dilara Erkem studiert Medienwissenschaften und Germanistik in Tübingen. Als Pendlerin, die in der Region ihrer Interviewpartnerin lebt, war es für sie sehr interessant zu sehen, dass tolle und interessante Medienberufe nicht nur in der weiten Welt, sondern auch quasi direkt vor der Haustür zu finden sind.

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