Von hartgesottenen Egomanen und zartbesaiteten Selbstüberschätzern
Das Herz hämmert, die Hände zittern, der Puls rast – eine Verabredung der besonderen Art: das Assessment-Center. Für Bewerber oft purer Stress und riesiges Fragezeichen. Die Personalberaterin Andrea Ketelhut bringt im Gespräch mit Lara Voelter Licht ins Dunkel und erklärt, warum Ellenbogentypen nicht immer die Nase vorn haben.
Praxiskiste: Ist Nervosität ein Indiz für mangelnde Souveränität und somit ein Ausschlusskriterium, Frau Ketelhut?
Andrea Ketelhut: Nervosität ist in erster Linie ein Zeichen dafür, dass jemandem die Sache wichtig ist; dass derjenige eine Anspannung verspürt, die dem Ganzen auch gerecht wird. Das darf natürlich nicht überhandnehmen, sodass die Nervosität einen völlig blockiert.
Häufig ist man auch sehr nervös, weil man nicht einschätzen kann, was auf einen zukommt. Wie läuft ein Assessment-Center ab?
Das Assessment-Center ist so etwas wie eine erste Arbeitsprobe. Man versucht, durch das Verhalten der Teilnehmer Rückschlüsse auf ihr künftiges Handeln im Berufsleben zu ziehen. Ziel ist es, die Arbeitswelt so realitätsgetreu wie möglich abzubilden. Verschiedene Übungen können ein Rollenspiel, eine Gruppendiskussion oder eine Fallstudie sein. Eine bestimmte Anzahl von Beobachtern schaut sich die gewünschten Kernkompetenzen und Soft Skills der Teilnehmer an. Sie diskutieren ihre Einschätzungen danach in einer Konferenz, bis man zu einem Konsens kommt. Das Assessment-Center kann auch Aufschluss darüber geben, wie sich jemand mit und gegenüber anderen verhält. Teamfähigkeit ist heutzutage ein Kriterium, das unerlässlich ist!
Und wenn meine Gruppe nicht besonders teamfähig ist und aus lauter Egomanen besteht? Wie mache ich trotzdem auf mich aufmerksam?
Das klingt ein bisschen abgedroschen, aber es ist wichtig, authentisch zu sein. Jemand mit mittlerer Durchsetzungsstärke, der beim Assessment-Center dann die Ellenbogen ausfährt, wird das nicht den ganzen Tag durchziehen können. Aktiv zu sein spielt auch eine bedeutende Rolle. Manchmal kann man natürlich Pech haben – in einer Gruppe mit sehr taffen Leuten, in der keiner Rücksicht nimmt. Es kann sein, dass man dort untergeht. Oft suchen Unternehmen aber nicht den Ellenbogentypen. Den haben sie womöglich bereits in ihrem Team. Jemand mit ausgleichendem Wesen ist dann gefragt. Darum: bitte nicht verstellen!
Sie haben langjährige Erfahrung als Personalmanagerin. Welchen weiteren Kenntnissen und Eigenschaften stehen im Blickfeld?
Durchsetzungsvermögen – aber im Sinne der Gruppe! Auch soziale und interkulturelle Kompetenz sind bedeutend. Veränderungs- und Reisebereitschaft gelten häufig als unabdingbar. Wichtig ist auch, bestehende Prozesse zu hinterfragen. Ein Bewerber sollte durch Persönlichkeit, Belastbarkeit und emotionale Stabilität auf sich aufmerksam machen.
Das alles lernt man nicht auf die Schnelle. Kann man sich trotzdem aufs Assessment-Center vorbereiten?
Es ist hilfreich, eine Art Inventur zu machen: Welche Stärken und Schwächen habe ich? Wo bin ich zielstrebig? Wie gehe ich mit anderen in einer Gruppendiskussion um? Welche Rolle nehme ich da ein? Wichtig ist außerdem, dass man seine Stärken und Schwächen auch laut vor einer anderen Person ausspricht. Wenn man sich nur Gedanken macht, hilft das nicht.
Hindert Vorbereitung nicht eher? Schließlich kann dadurch viel Authentizität und Spontaneität verlorengehen.
Nein, ich plädiere schon für die Vorbereitung. Vielen Unternehmen sind Assessment-Center-Trainings ein Dorn im Auge. Sie wollen jemanden, der sich spontan und echt verhält. Die Selbstpräsentation sollte man aber üben. Das hilft, sich kurz und präzise vorstellen zu können. Außerdem ist es vorteilhaft, sich zu überlegen, welches Bild man von sich selbst malen würde. Solche Dinge kann man vorbereiten – das schadet auch nicht.
Welcher Fauxpas lässt Ihnen die Haare zu Berge stehen?
Zuspätkommen ist für mich ein absolutes No-Go! Das ist schon Jahre her, ist mir aber im Gedächtnis geblieben: Ein Bewerber stand in einem Stau, kam zu spät und hat sich nicht entschuldigt. Da war es egal, wie er sich den Tag über verhalten hat; er hat dann eine Absage erhalten.
Passten die ausgewählten Bewerber bisher zu den Stellen?
Ich denke, dass das Ergebnis meist ganz gut aussah. Natürlich erlebt man immer wieder Überraschungen. Es gab einmal jemanden, der aus Nordrhein-Westfalen hier ins Schwabenland kam. Er war ein super Mitarbeiter, toll im Assessment-Center – alle waren zu 100 Prozent überzeugt. Er hat dann aber nach ein paar Monaten gekündigt: wegen Heimweh! Das würde man nicht erwarten, wenn jemand sehr souverän im Assessment-Center auftritt. Manche sind eben doch ganz gute Schauspieler (lacht).
Zur Person
Andrea Ketelhut studierte an der Fachhochschule Mönchengladbach Textiltechnik. Danach arbeitete sie über 20 Jahre als Personalmanagerin bei der Daimler AG in Sindelfingen. Seit 2009 ist Andrea Ketelhut selbstständige Bewerbermanagerin und Personalberaterin. Sie führt unter anderem Assessment-Center-Trainings an Hochschulen durch und coacht Absolventen im Bewerbungsprozess.