Zwischen Hilfe und Kontrolle - Praxiskiste
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Zwischen Hilfe und Kontrolle

Entscheidungen über Eingriffe in Familien wirken für Außenstehende häufig intransparent oder unverständlich. Ein junger Mann, der bereits als Kind mit dem Jugendamt in Kontakt kam, verbrachte seine Jugend in einer Einrichtung und schildert in einem offenen Gespräch seine ambivalenten Erfahrungen: Wie wichtig die Unterstützung für ihn war und wo sie ihre Grenzen hatte. Ein Interview von Mariella Simnacher


Praxiskiste: Wie kam es, dass das Jugendamt in eure Familie involviert wurde?

Lukas: Meine Mutter ist damals zum Jugendamt gegangen, um eine Familientherapie zu beginnen.

Praxiskiste: Gab es ein konkretes Ereignis, das ausschlaggebend war?

Lukas: Ja und nein. Vielleicht war es die Situation insgesamtund ein bestimmtes Ereignis war dann schlussendlich der Auslöser für die Entscheidung.

Praxiskiste: Wie alt warst du damals, als der Kontakt zum Jugendamt aufgenommen wurde?

Lukas: Ich glaube, ich war elf Jahre alt, als meine Mutter das erste Mal mit dem Jugendamt gesprochen hat. 

Praxiskiste: Hast du damals verstanden, warum deine Mutter diesen Schritt gegangen ist?

Lukas: Ja, habe ich schon verstanden. Es war klar, dass irgendetwas nicht stimmt.

Praxiskiste: Wie hast du dich beim ersten Kontakt mit dem Jugendamt gefühlt?

Lukas: Keine Ahnung, das ist eine gute Frage. Ich glaube, relativ gleichgültig.

Praxiskiste: Welche Art von Unterstützung wurde dir damals angeboten?

Lukas: Zuerst haben wir Familientherapie erhalten, dann wurde ich in eine Klinik eingewiesen und danach bin ich in eine Jugend-WG umgezogen.

Praxiskiste: Wie alt warst du, als du ausgezogen bist?

Lukas: Ich war 15 Jahre alt.

Praxiskiste: Das ist eine große Veränderung für einen 15-Jährigen. Wie war es für dich, plötzlich in einer Jugend-WG zu leben?

Lukas: Es war hilfreich, von zu Hause wegzukommen. Das auf jeden Fall, aber die Regeln waren streng und es gab wenig Freiheiten. Trotzdem hatte ich das Gefühl, es war der einzige Weg, um aus der Situation zu Hause herauszukommen.

Praxiskiste: Hast du dich bei dieser Entscheidung mitgenommen gefühlt oder warst du eher außen vor?

Lukas: Ich glaube, ich war eher außen vor. Ich wollte eigentlich in eine andere WG, die ich vorher besucht hatte, aber das Jugendamt und meine Mutter haben dann anders entschieden.

Praxiskiste: Wie sah der Alltag in der WG aus? Gab es feste Regeln oder Einschränkungen, mit denen du nicht einverstanden warst?

Lukas: Es gab viele Regeln, wie Ausgehzeiten und auch Zeiten, in denen du dein Handy nicht benutzen durftest. Es war ziemlich streng, was teilweise echt schwierig war.

Praxiskiste: Wie war der Kontakt zu den Betreuern und dem Jugendamt? Hattest du das Gefühl, dass du dort wirklich Unterstützung bekommen hast?

Lukas: Die Einrichtung stand in Rücksprache mit dem Jugendamt und der Kontakt zu den Betreuern war okay. Sie waren teils sehr unsympathisch.

Praxiskiste: Gab es auch bestimmte Personen vom Jugendamt, mit denen du eine besondere Vertrauensbasis aufbauen konntest?

Lukas: Vom Jugendamt direkt würde ich nicht sagen, sondern zu den Betreuern der WG.

Praxiskiste: Hast du eine bestimmte Situation im Kopf, warum dir die Betreuer positiv in Erinnerung geblieben sind?

Lukas: Einer meiner Betreuer hat mein Interesse für Psychologie geweckt, da er beruflich im Bereich der Psychologie gearbeitet hat. Er war eine sehr ruhige Person und hat einen nicht verurteilt, würde ich sagen.

Praxiskiste: Gab es bestimmte Momente, in denen du die Unterstützung als besonders hilfreich oder schwierig empfunden hast?

Lukas: Die Unterstützung dabei, aus dem Elternhaus rauszukommen, war auf jeden Fall hilfreich, weil das Leben zu Hause halt übel scheiße war. In der WG zu wohnen war aber auch übel scheiße, wegen den strengen Regeln und den unsympathischen Betreuern.

Praxiskiste: Gab es Situationen, in denen du das Gefühl hattest, dass dir wirklich zugehört wurde?

Lukas: In der Familientherapie wurde mir zugehört und meine Meinung war wichtig. Ich wurde öfter gefragt, was ich möchte. Aber später, bei Entscheidungen mit dem Jugendamt, hatte ich oft das Gefühl, dass man einfach über meinen Kopf hinweg entschieden hat – wie bei der Wahl der WG.

Praxiskiste: Wie bewertest du die Hilfe des Jugendamtes, wenn du heute zurückblickst?

Lukas: Keine Ahnung, also ich würde sagen, die Unterstützung dabei, von zu Hause wegzukommen, war sehr gut, aber in der WG des Jugendamtes zu wohnen, war auch ziemlich kacke, wegen der unsympathischen Betreuer und den strengen Regeln.