Fackelträger oder Schleppenzieher? Die Rolle der Sozialen Arbeit im gesellschaftlichen Wandel - Praxiskiste
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Fackelträger oder Schleppenzieher? Die Rolle der Sozialen Arbeit im gesellschaftlichen Wandel

Ist die Soziale Arbeit mutiger gesellschaftlicher Innovator oder Nachzügler bestehender Strukturen? Wie können Wissenschaft und Praxis gemeinsam eine transformative Kraft entwickeln? Ein Gespräch mit Dr. Frank Eger, Professor für Theorien Sozialer Arbeit an der Hochschule Kempten, über Visionen, Herausforderungen und die Verantwortung der Sozialen Arbeit in einer sich wandelnden Welt. Ein Interview von Ehsan Montaseri.

 

Praxiskiste: Sie haben in einer Ihrer Vorlesungen erzählt, dass Ihre Eltern im Bereich der Sozialen Arbeit tätig waren. Können Sie uns mehr dazu erzählen?

Prof. Dr. Frank Eger: Sehr gerne. Meine Eltern waren beide in der Sozialen Arbeit aktiv. Meine Mutter leitete eine stationäre Einrichtung für geistig beeinträchtigte Erwachsene, während mein Vater als Leiter eines Jugendamtes tätig war. Diese Arbeit haben sie mit viel Engagement ausgeübt, was zweifellos auch mich geprägt hat. Für meine Kindheit und Jugend bedeutete das: Soziale Themen waren ständig präsent, was mir eine bewusste Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Herausforderungen ermöglichte. Ich denke, meine Eltern lebten die Soziale Arbeit so positiv vor, dass weder ich noch mein Bruder – der ebenfalls Sozialpädagoge geworden ist – uns von diesem Bereich abschrecken ließen.

Praxiskiste: Das klingt nach einer sehr inspirierenden Grundlage für Ihren späteren Weg. Lassen Sie uns tiefer in die Soziale Arbeit einsteigen: Trägt sie die »Fackel« mutig voraus oder zieht sie die »Schleppe« gesellschaftlicher Veränderungen hinterher? Wie sehen Sie das aus Ihrer Erfahrung?

Prof. Dr. Frank Eger: Es hängt stark von den Organisationen ab, in denen Sozialarbeiter tätig sind. Traditionell konservative Strukturen, wie bei den Kirchen oder Behörden, tendieren dazu, eher die »Schleppe« zu tragen. Allerdings kommen viele Innovationen von Hochschulen. Beispielsweise die Lebensweltorientierung, die den Wandel von großen Jugendhilfeeinrichtungen hin zu kleineren, dezentralisierten Einrichtungen bewirkt hat, war ursprünglich eine Idee aus der Hochschulforschung. Ähnlich war es bei der Heimkampagne der 1970er- Jahre, die von Studierenden und Wissenschaftlern angestoßen wurde.

Praxiskiste: Das zeigt, wie stark der Einfluss von Hochschulen sein kann. Sehen Sie in der Sozialen Arbeit auch eine Nähe zu marxistischen Ideen?

Prof. Dr. Frank Eger: Der Marxismus hat Menschlichkeit und den Menschen stark betont, aber ist in der Umsetzung oft hinter seine eigenen Ideale zurückgefallen, etwa durch die Fokussierung auf das Kollektiv und die daraus resultierende Bürokratisierung. Sozialarbeiter fühlen sich von diesen Idealen durchaus angesprochen, stoßen jedoch an Grenzen, wenn diese Ansätze ihre Umsetzbarkeit verlieren.

Praxiskiste: Wissenschaftliche Fortschritte prägen die Soziale Arbeit stark. Wie sieht Ihrer Meinung nach der Einfluss der Wissenschaft auf die Praxis aus?

Prof. Dr. Frank Eger: Die Soziale Arbeit ist eine praxisbezogene Wissenschaft. Durch den kontinuierlichen Wissenschaftstransfer – sei es durch Praxisforschung oder Organisationsentwicklung – fließen theoretische Innovationen in die Praxis ein. Es ist ein zyklischer Prozess: Hochschulen entwickeln neue Ansätze, die Praxis setzt sie um, und die Ergebnisse fließen zurück in die Wissenschaft.

Praxiskiste: Wie bereiten Sie Ihre Studierenden darauf vor, diesen Balanceakt zwischen »Fackeltragen« und »Schleppeziehen« zu meistern?

Prof. Dr. Frank Eger: Ich lege großen Wert auf Fallstudien. Anhand konkreter Fälle können wir ethische Dilemmata und Herausforderungen analysieren und praktische Lösungsansätze entwickeln. Theorie wird so greifbar und leichter in die Praxis übertragbar.

Praxiskiste: Welche Verantwortung trägt die Soziale Arbeit in einer sich wandelnden Gesellschaft?

Prof. Dr. Frank Eger: Die Soziale Arbeit hat die Aufgabe, auf Missstände aufmerksam zu machen und gleichzeitig Lösungen zu entwickeln – für Einzelpersonen wie auch für die Gesellschaft. Es ist wichtig, nicht zu lange bei den Problemen zu verweilen, sondern Alternativen und Perspektiven zu entwickeln.

Praxiskiste: Zum Abschluss: Was wünschen Sie sich, um die Soziale Arbeit stärker in eine »Fackelträgerrolle« zu bringen?

Prof. Dr. Frank Eger: Es ist entscheidend, Soziale Arbeit sichtbarer zu machen. Öffentliche Veranstaltungen, wie sie an unserer Hochschule stattfinden, können dazu beitragen. Der Dialog zwischen Wissenschaft, Praxis und Gesellschaft muss weiter intensiviert werden, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken.

Praxiskiste: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Eger.

Prof. Dr. Frank Eger: Danke Ihnen, und ich lade alle ein, unseren Podcast »Auf den Schultern von Riesen« anzuhören. Wir reflektieren darin die Errungenschaften der Sozialen Arbeit und werfen einen Blick auf bedeutende Theoretiker wie Alice Salomon und vielen mehr.