»Du hast immer eine Pistole im Nacken«
Nach dem Studium direkt im Traumjob in die Arbeitswelt starten – das ist Ulrich Hebel geglückt. Er kommentiert u. a. bei »DAZN« Fußballspiele der englischen Premier League. Im Interview mit Johannes Hübner spricht Hebel über den Einstieg als freier Journalist und wie er mit dem Terroranschlag in Paris 2015 während eines Länderspiels umging.
Praxiskiste: Was hast du beim Einstieg als freier Journalist beachtet?
Uli Hebel: Ich bin in die freiberufliche Tätigkeit quasi reingerutscht – das Berufsbild Kommentator wird in der Regel so gezeichnet. Wichtig für mich dabei war immer in erster Linie die Sache. Als Journalist ist inhaltliches Wissen Voraussetzung – dazu Demut und Fleiß. Das, und auch eine hohe Frustrationstoleranz. Krank sein, zum Beispiel, kann ich mir nicht leisten. Ich habe beim ersten Kratzen im Hals schon eine Art Panik um meine Stimme. Ich schirme mich dann echt ab, damit ich nicht krank werde. Und dann ist da noch der Verwaltungsaufwand, der nicht zu unterschätzen ist. Auch wenn das viel vom erarbeiteten Lohn kostet, ohne meine Mannschaft um mich herum, habe ich keine Chance: Steuerberaterin, Versicherer und Vermögensberater. Ich selbst muss zumindest aber die Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre draufhaben: Ich teile zwar Aufgaben – das Risiko gehört mir aber alleine.
Wie bist du versichert?
Noch bin ich bis März Student, da ist es in Sachen gesetzlicher Krankenversicherung einfach. Danach hoffe ich auf Aufnahme in die Künstler Krankenkasse, um die Hälfte der stark ansteigenden Monatsbelastung abgenommen zu bekommen. Neben der privaten brauche ich zusätzlich eine betriebliche Haftpflichtversicherung – für den Fall ich sage etwas Unangebrachtes „on air“. Plus die Arbeitsunfähigkeitsversicherung, für alle Fälle. Dinge, von denen ich zuvor gar nichts wusste. Vieles delegiere ich – um inneren Frieden und Zeit zu wahren.
Wie viel (Zeit) kostet dich deine Verwaltung (pro Woche im Schnitt)?
In Euro? Schon einen ganz ordentlichen vierstelligen Betrag. Die Steuerberaterin ist aber meine beste Freundin: Ich brauche sie häufig und das kostet natürlich. Ich selbst erstelle aber trotzdem noch Pläne, schreibe und kontrolliere Rechnungen und ordne alles ab. Das kostet mich vor allem mentalen Einsatz und bestimmt vier bis fünf Stunden Zeit pro Woche.
Welche Kernkompetenzen brauchst du als Kommentator?
Das Wichtigste ist das Spiel: Verständnis, Information, Unterhaltung. Grundvoraussetzung Nummer zwei: Rhetorisches Talent. Daran arbeite ich fortwährend. Die Stimme ist – hoffentlich – gottgegeben, gefällt oder nicht. Wichtig ist auch eine sehr schnelle Auffassungsgabe: Was passiert auf dem Spielfeld und wie verpacke ich es sofort in Worte? Präzision statt Dauererzählung. Und das Ganze in sauberem Deutsch. Meine Aufgabe ist es, druckreif hinter das Bild zu kommen – sehen kann der Zuschauer selbst.
Was war deine schwierigste Situation beim Kommentieren?
An zwei erinnere ich mich besonders. Im März 2016 habe ich das Spiel kommentiert, als in Dortmund ein Fan gestorben ist und ich war Leiter der Sendung als der Terroranschlag während des Spiels Deutschland gegen Frankreich in Paris verübt wurde. Als Kommentator musste ich beim Spiel in Dortmund weiterreden, als ich langsam merkte, hier ist etwas nicht wie sonst. Während ich mit dem Sport beschäftig war, bekam ich Anweisungen meines Teams aufs Ohr über die neue Lage – das Spiel lief ja. Dann die Abwägung: Ist der gespielte Ball noch wichtig? Eigentlich interessiert es nicht mehr – wenigstens mich nicht. Binnen Sekunden musst du Informationen verifizieren und – das klingt makaber –das Spiel in seiner neuen Besonderheit über die Bühne bekommen. Für das Schicksal selbst haben wir leider zu wenig Zeit und Raum.
Wie bist du bei dem Terroranschlag vorgegangen?
Ich war an diesem 13. November Leiter der Sendung. Alles lief normal, dann der Knall, den die meisten wahrscheinlich nie mehr aus dem Ohr bekommen. Wir hielten alles für möglich: dieses Ausmaß aber so nicht. Terror, den ich aber nicht menschlich-angefasst begleite, sondern professionell verarbeiten und aufbereiten musste – als Verantwortlicher für Inhalt und Ausführender. In diesem Moment war ich dankbar für meine journalistische Ausbildung – Stichwort: Gatekeeping. Berichten ja, aber nie spekulieren. Niemandem zu Nahe treten und trotzdem – wir berichten ja – die Ereignisse so nah wie möglich zu transportieren. Wir sind Sportjournalisten und als solche in dieser Situation außerhalb unseres Bereiches. Es galt wirklich Satz für Satz genau zu überlegen. Nach dem Spiel kam die Frage auf, ob wir den lauten Knall, den jeder während des Spiels gehört hatte, als Datei auf Soundcloud hochladen. Ich habe mich dagegen entschieden und dafür viel Verständnis geerntet. Erst nachher wurde uns allen klar: Wir (und letztlich ich) hätten es in der Situation auch total gegen die Wand fahren können. Ich war schon ein bisschen überfordert, da es meine erste Schicht als Sendeleiter war. Die zwei Erfahrungen werde ich behalten und sage immer: »Jetzt habe ich wohl alles gesehen« – bis was Neues kommt.
Was sind aus deiner Sicht die Nachteile der freien Mitarbeit?
Du hast immer eine Pistole im Nacken. Die Sache mit dem Krank-Sein: Wenn meine Stimme kratzt, werde ich fast panisch. Die Angst spricht offen gesagt immer ein bisschen mit. Ohne Stimme keine Arbeit. Und damit kein Verdienst. Und natürlich habe ich nie Urlaub – und wenn ich mir das wirklich mal gönne, dann unbezahlt.
Und Vorteile?
Ich bin mein eigener Chef. Als freier Mitarbeiter bekomme ich mehr Geld – zumindest auf den ersten Blick. Verglichen mit einer Anstellung derzeit rund ein Viertel weniger. Das Arbeitspensum wäre als fest Angestellter ziemlich sicher geringer – das nehme ich aber mal als Vorteil. Ich mache meinen Job gerne – sonst würde ich ihn nicht machen.
Zur Person
Ulrich Hebel ist freier Journalist und arbeitet als Kommentator für »DAZN« und »Sport1«, sowie für »Sky Sport News HD«. Für »Spox.com« schreibt Hebel eine Kolumne über die englische Premier League. Vor seinem Berufseinstieg studierte er an der Macromedia Hochschule in München Sportjournalistik.