Ein Büro, ein Chef, ein Praktikant: Erfolg?
Funktioniert ein Betrieb, wenn Praktikant*innen die Belegschaft dominieren? Fernando Dias Costa leitet in Tübingen das Kulturbüro seiner Kultband »Grupo Sal«, mittlerweile seit einem Jahrzehnt nur noch mithilfe von ein bis zwei Praktikant*innen. Mit Max Schweizer spricht er über die Vorteile ständig wechselnder Mitarbeiter*innen und seine Erfahrungen mit hunderten an Bewerbungen.
Praxiskiste: Herr Dias Costa, wie würden Sie Ihre Arbeit im Kulturbüro der Musikband „Grupo Sal“ beschreiben?
Fernando Dias Costa: Wir entwickeln als Musikband Grupo Sal Tourneen im deutschsprachigen Raum. Diese finden in Kombination mit politischen Lesungen durch Persönlichkeiten Lateinamerikas statt.
Apropos Persönlichkeit: Nach welchen Kriterien sortieren Sie die schriftlichen Bewerbungen um Ihre Praktikantenstelle aus?
Für mich sollte die Bewerbung Charakter haben und nicht wie eine Blaupause wirken. Es muss mir klarwerden, warum diese Person denkt, dass mein Angebot zu ihr passt. Erfahrungen und Tätigkeiten abseits der Ausbildung, die das unterlegen, helfen hierbei natürlich.
Bewerben sich bei Ihnen viele Student*innen aus Tübingen?
Weniger als gedacht, vielleicht 30 Prozent. Wir haben Bewerbungen und Praktikanten von der Nordsee, der Schweiz, Frankreich, Italien und natürlich aus näheren Städten. Diese machen den großen Rest aus.
Wie wichtig ist ein Bild auf der Bewerbung?
Es hilft bei der holistischen Wahrnehmung einer Person. Entscheidend ist aber dann trotzdem das Gespräch.
Bleiben wir bei der schriftlichen Erstbewerbung. Wie wichtig sind Ihnen fachliche Übereinstimmung zwischen Studien- und Lebenslauf der Bewerber*innen und dem, was Grupo Sal bietet?
Noten sind weniger wichtig als Themenschwerpunkte im Studium, aber beides ist nicht entscheidend. Ich hatte schon aus den unterschiedlichsten Studienfächern die besten Praktikanten. Natürlich hat es ein reiner Physiker schwerer. Entscheidend ist aber, ob er oder sie mich im Bewerbungsgespräch überzeugen kann.
Und wie können sich angehende Bewerber*innen vorbereiten, um Sie im Gespräch zu überzeugen?
Ich muss merken, dass sich ein Bewerber mit unserer Arbeit hier auseinandergesetzt hat. Es ist irrelevant, ob er oder sie überzeugt davon ist. Wichtig ist, dass Interesse und Bereitschaft zu sehen sind.
Hatten Sie schon ein Bewerbungsgespräch, bei dem Sie von Anfang gemerkt haben, dass es nicht klappt?
Ja. Man kann sich nicht falsch anziehen aber es lässt Schlüsse darüber zu, ob diese Person sich mit der Arbeit auseinandergesetzt hat. Es ist vielleicht anekdotisch, wenn ich sage ein Bewerber hat sich bei mir wie bei einem Bewerbungsgespräch für Siemens angezogen. Die Erfahrung zeigt aber, dass solche Bewerber nicht geeignet waren.
Welche Aufgaben übernehmen Praktikant*innen, die Ihre einzigen Mitarbeiter*innen darstellen, bei Ihnen?
Anfangs einfache Büroarbeiten. Der Aufgabenbereich wächst dann mit der Zeit und den Ambitionen. Das System ist möglichst hierarchielos konzipiert, sodass eine Diskursoffenheit besteht. Es gilt, Kontakte zu organisieren, zu sortieren und zu pflegen, Datenbanken zu verwalten und Werbematerialien und Texte zu gestalten. Die ganze Spanne ist hier mit der Zeit möglich. Beispielsweise kann die erlernte Kommunikationsfähigkeit für ein übergeordnetes Ziel, etwa ein Akquise-Gespräch, genutzt werden.
Welche Risiken und Vorteile birgt die Arbeit mit Praktikant*innen?
Viele Anfängerfehler. Das größere Risiko ist eine falsche Einschätzung der Praktikanten und ihrer Fähigkeiten meinerseits. Dann ist die Stelle nicht optimal besetzt. Dies war in den letzten zehn Jahren allerdings eher die Ausnahme. Der Vorteil überwiegt und ist in der Vitalität aufgrund einer Fluktuation an wechselnden Praktikanten begründet.
Wie stehen Sie dem Vorwurf entgegen, Praktikant*innen als billige Arbeitskräfte auszunutzen?
Ich würde meinen Praktikanten gerne mehr bezahlen. Das Kulturgeschäft gibt aber leider nicht mehr Geld. Wir machen aus dieser Schwäche eine Stärke. Der Mehrwert unseres Angebots, der sich auch in dem hierarchielosen Arbeitskonzept begründet, ist so groß, dass uns die Türen eingerannt werden.
Sind Praktikant*innen bei Ihnen schon an ihre Grenzen gestoßen?
Ja, das ist das Risiko dieses Konzepts. Die Mehrheit erreicht aber ihr Potential aufgrund der kurzen Zeit nicht einmal. Die eigenen Grenzen werden während des Praktikums entweder nicht erreicht, oder immer weiter ausgeweitet.
Was würden Sie jungen Menschen raten, bevor sie in die Arbeitswelt eintreten?
Ich will mir nicht anmaßen, so etwas vorzuschlagen. Ich kann nur sagen, dass ich sehr gute Erfahrungen mit Praktikanten hatte, die vorher etwas von der Welt gesehen haben. Es ist keine Voraussetzung und kein Muss! Man sollte aber eine Distanz zu sich selbst und der eigenen Biographie geschaffen und so seinen Blickwinkel auf die Vielfalt der Welt verändert haben. Es ist immens wichtig, einen Ansporn außerhalb des eigenen Komforts zu entwickeln! Genauso komplex, wie diese Antwort, ist die Aufgabe für jeden jungen Menschen, bevor er in der Arbeitswelt Fuß fasst.
Zur Person
Fernando Dias Costa wurde 1958 in Mosambik geboren und wuchs in Portugal auf. 177 begann er sein Studium der Biochemie in Tübingen. Fünf Jahre später folgte die Gründung der Marke „Grupo Sal“, die als Musikgruppe startete.
Fernando Dias Costa ruft im Schnitt gut ein halbes Dutzend Tourneen pro Jahr ins Leben. Diese sind als Konzertlesungen gestaltet; verschiedene sozial und politisch engagierte Persönlichkeiten Lateinamerikas und Deutschlands treten dabei in Kooperation mit „Grupo Sal“ auf.