Eitelkeiten über Bord werfen
Im Interview mit Ines Marchand spricht die freie Kultur- und Medienjournalistin Dr. Anne Haeming über ihre Freiheiten im Journalismus, ihren Zwischenstopp in der Wissenschaft und darüber, was sie erst noch lernen musste.
Praxiskiste: Unser Ressort heißt »Angekommen«. Sind Sie angekommen in dem, was Sie tun?
Anne Haeming: Das schon, aber der Begriff »angekommen« funktioniert nur eingeschränkt. Die Branche steht nicht still. Man muss flexibel bleiben.
Sie haben sogar promoviert und waren als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Anglistik und Amerikanistik tätig. War das eine Option, die Sie sich offen halten wollten?
Ich wollte seit dem Abitur in den Journalismus, die Idee zu promovieren tauchte erst nach meiner Abschlussprüfung auf. Als ich nach der Promotion mein Volontariat begann, war schnell klar, dass das eine klare Entscheidung für den Journalismus ist – auch wenn ich später für ein Jahr als Vertretung in die Anglistik zurückging. Aber im akademischen Betrieb ist der Zug schnell abgefahren. Trotzdem: Ich finde, es schadet nicht, wenn man gelernt hat, sich so lange mit einer Materie auseinanderzusetzen.
Sind Sie also zufrieden, dass Sie Journalistin geworden sind und die akademische Karriere nicht weiter verfolgt haben?
Ich bin froh, dass es so gekommen ist. Der schnellere Rhythmus an Output und notwendiger Produktivität entspricht eher meinem Naturell. In der Wissenschaft müsste ich mich tendenziell auf wenige Themen spezialisieren. Als freie Journalistin ist mein Spektrum breiter.
Welche Freiheiten bietet Ihnen Ihr Beruf als freie Journalistin noch?
Ich kann die Schwerpunkte immer etwas verschieben. Wenn mir danach ist, viel im Kulturbereich zu schreiben, dann denke ich mir entsprechend viele Themen dazu aus und biete sie den Redaktionen an. Ist mir nach Reisen, biete ich Reisereportagen an. Schön ist auch, dass ich von überall aus arbeiten kann.
Nutzen Sie diesen Vorteil oft?
Vor einer Weile war ich zum Beispiel vier Wochen in Toronto. Von dort aus konnte ich ganz normal für meine üblichen Auftraggeber weiter arbeiten. Als fest angestellter Redakteur kann man das nicht unbedingt machen.
Sie geben journalistische Workshops an der Universität Konstanz. Welche Tipps geben sie den Student*innen?
Man sollte eine gute Allgemeinbildung mitbringen. Als Journalist muss ich über viele Dinge Bescheid wissen, auch, wenn ich nicht darüber schreibe. Gerade als Kulturjournalistin muss ich wissen, was in der Welt passiert. Kultur ist schließlich oft ein Spiegel aktueller gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen. Das muss ich sehen, dechiffrieren und interpretieren können – besonders da sich der Kulturjournalismus sich zu einem Raum für Debatten gewandelt hat.
Was sollte man noch mitbringen?
Neugier, man sollte sich für die Geschichten anderer interessieren. Und zwar nicht nur derer, die sich ganz oben in der Hierarchie befinden, sondern auch für die Metzgereifachverkäuferin oder die Kollegen von der Müllabfuhr. Das Spektrum sollte möglichst breit sein.
Wenn Sie an Ihre Anfänge zurückdenken: Was mussten Sie erst noch lernen?
Das journalistische Handwerk, wie jeder. Erst, wenn ich weiß, wie die Regeln bestimmter Darstellungsformen funktionieren, kann ich damit spielen. Das sind Dinge, die man nur selten dank Intuition oder Talent von Anfang an kann. Und was die Haltung angeht: Wenn die Redakteurin der Meinung ist, dass bestimmte Dinge in meinem Artikel nicht funktionieren, sollte man das erst einmal nicht als persönlichen Angriff verstehen. Da muss man Eitelkeiten über Bord werfen.
Zur Person
Nach ihrem Studium der Literatur-,Politik-, Kunst- und Medienwissenschaft an der Universität Konstanz promovierte Anne Haeming im Fachbereich der Anglistik/Amerikanistik. Schon während ihres Studiums war sie journalistisch tätig. Seit 2006 arbeitet die 38-Jährige nun als freie Kultur- und Medienjournalistin im Print- und Online-Bereich.