Zuhause auf Zeit - Praxiskiste
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Zuhause auf Zeit

Anna Meier (Name geändert) nimmt Kinder bei sich auf, die nicht mehr bei ihren Eltern wohnen dürfen. In einem offenen Gespräch erzählt sie sowohl von den schönen als auch von den weniger schönen Seiten ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiterin. Ein Interview von Christoph Welscher

 

Praxiskiste: Wie alt sind Ihre Kinder?

Anna Meier: Unsere Gruppe nimmt generell nur Kinder zwischen null und zwölf Jahren auf. Es gibt aber auch andere Gruppen, die auch ältere Kinder und Teenager aufnehmen.

Praxiskiste: Woher kommen die Kinder? Werden sie von ihren Eltern hergebracht oder vom Jugendamt?

Anna Meier: Meistens kommen sie vom Jugendamt. In seltenen Fällen passiert es auch auf Wunsch der Eltern, allerdings dann trotzdem in Begleitung des Jugendamts. Das Jugendamt muss immer zustimmen, wenn ein Kind bei uns aufgenommen wird. So eine Aufnahme kann auch mitten in der Nacht stattfinden. Dann wird diejenige Person, die Nachtschicht hat aufgeweckt und muss mit dem Jugendamt-Mitarbeiter die Aufnahme des Kindes in unsere Gruppe abstimmen.

Praxiskiste: Wie viele Kinder können Sie maximal in Ihrer Gruppe aufnehmen?

Anna Meier: Maximal können wir acht Kinder aufnehmen. Zwei haben uns gestern verlassen, da sie eine Pflegefamilie gefunden haben. Das heißt aktuell sind wir bei sechs Kindern. Es kann aber durchaus passieren, dass wenn ich morgen wieder arbeiten gehe, wir wieder bei acht Kindern sind.

Praxiskiste: Wie lange bleiben die Kinder bei Ihnen?

Anna Meier: Also das ist ganz unterschiedlich. Manchmal bleiben sie nur ein paar Tage. Wir hatten erst ein dreiwöchiges Baby bei uns, da die Mutter niedergestochen und ins Krankenhaus gebracht wurde. Niemand wurde auf die Schnelle gefunden, der sich um das Baby kümmern konnte, deswegen war es eine Nacht bei uns. Am nächsten Tag wurde aber dann ein Onkel gefunden, der sich um das Baby kümmern konnte – also war es bei uns nicht einmal 24 Stunden. Grundsätzlich aber bleibt ein Kind ein paar Wochen. Manchmal länger, manchmal kürzer, das kann man nie so genau sagen. Es bleibt so lange bei uns, bis klar ist, was mit dem Kind geschieht. Die meisten Kinder kommen in eine Pflegefamilie, in eine Wohngruppe oder zurück zu den Eltern. Das entscheidet aber alles das Jugendamt.

Praxiskiste: Die Arbeit mit den Kindern ist sicherlich nicht immer einfach und es kommt bestimmt zu vielen Konfrontationen. Was machen Sie, wenn ein Kind wirklich austickt?

Anna Meier: Es kommt ganz darauf an. Es passiert sehr häufig, dass die Kinder austicken. Hinzu kommt, dass, die meistens auch verschiedene Verhaltensauffälligkeiten haben. Aber da muss man dann einfach darüberstehen. Es gibt jetzt nicht die eine Methode, die immer hilft. Ich habe zum Beispiel heute ein Kind gefragt, was es gerne zum Essen haben möchte. Da habe ich nur ein »Verpiss dich« als Antwort bekommen. Dann habe ich zu ihm gesagt: »Gut, dann entscheide ich.« Und habe ihn links liegen lassen.

Praxiskiste: Was passiert, wenn es wirklich nicht mehr geht? Dürfen Sie die Kinder im Zimmer einsperren?

Anna Meier: Einsperren dürfen wir sie natürlich nicht. Wir hatten allerdings erst einen zwölfjährigen Jungen bei uns. Er war mit Abstand der Älteste und hat unsere Kleineren immer verprügelt. Da unsere anderen Kinder Angst vor ihm hatten, haben wir ihnen den Zimmerschlüssel gegeben und haben es ihnen erlaubt, sich selbst einzusperren, damit sie nicht geschlagen werden. Wenn sich der Zwölfjährige wieder beruhigt hat, konnten sie wieder rauskommen.

Praxiskiste: Gehen die Kinder trotzdem noch zur Schule?

Anna Meier: Ja, außer es gibt eine Schulbefreiung.

Praxiskiste: Wie kommen sie überhaupt zur Schule?

Anna Meier: Das ist schon ein kleines Problem, da die Kinder auf verschiedene Schulen gehen. Zur Schule von einem Kind kann man aktuell hinlaufen. Das macht dann eine Betreuerin mit ihm. Die anderen Kinder werden mit dem Auto zur Schule gefahren und wieder abgeholt. Das ist eine ziemliche Herausforderung, aber es geht leider nicht anders.

Praxiskiste: Wie gestalten Sie die Freizeit der Kinder?

Anna Meier: Wir versuchen sehr viel mit den Kindern zu machen. Allerdings ist das nicht immer so einfach. Wir bekommen pro Kind pro Monat 20 Euro als Budget für Freizeitbeschäftigungen. Letzte Woche waren wir zum Beispiel alle gemeinsam im Legoland. Ansonsten gehen wir gehen viel spazieren, spielen Brettspiele und haben draußen einen schönen Spielplatz direkt um die Ecke. Abends gibt es manchmal auch gemeinsame Playstation- oder Fernsehabende.

Praxiskiste: Welche Rolle spielt bei den Kindern das Thema Medienkonsum? Haben die Kinder ihr eigenes Handy?

Anna Meier: Meistens haben die Kinder schon ihr eigenes Handy. Das haben sie dabei, wenn sie bei uns aufgenommen werden. Es ist ein sehr großes Thema bei uns und wir haben es so geregelt, dass sie meistens eine Stunde pro Tag Medien konsumieren dürfen. Egal ob es jetzt Playstation spielen ist oder Handynutzung. Die Handys der Kinder haben wir in unserem Tresor eingesperrt. Da haben sie keinen Zugriff darauf. Aber wenn sie zum Beispiel mit ihren Eltern telefonieren wollen, geben wir es ihnen meistens. Ob die Kinder Kontakt zu ihren Eltern haben dürfen oder nicht, muss aber mit dem Jugendamt abgeklärt werden. Es gibt auch Ausnahmen, wenn wir die Kinder mal belohnen wollen. Dann dürfen die Kinder auch mal länger Playstation spielen. Oder wir spielen am Abend mal gemeinsam Switch. Das machen wir aber wirklich nur als eine Art Belohnung, wenn sich die Kinder gut verhalten haben. Allerdings passiert das gerade echt sehr selten (lacht).

Praxiskiste: Wie sieht es mit den Arbeitszeiten aus? Schichten Sie?

Anna Meier: Ja, es gibt eine Frühschicht von 7.00 bis 17.00 Uhr, eine Spätschicht von 13.00 bis 21.00 Uhr und eine Nachtschicht von 17.00 bis 13.00 Uhr am nächsten Tag. Da wir aktuell aber sehr viele Krankheitsausfälle haben, sind die Arbeitszeiten sehr unterschiedlich und einen richtigen Schichtplan gibt es nicht. Ich hatte gestern zum Beispiel eine 24 Stunden-Schicht von 13.00 bis 13.00 Uhr. Wir versuchen uns einfach abzusprechen.

Praxiskiste: Wie viele BetreuerInnen arbeiten in der Gruppe?

Anna Meier: Wir sind aktuell zu neunt. In der Nachtschicht ist man allein und in der Tagesschicht zu zweit. Allerdings, durch unsere Ausfälle kommt es aktuell dazu, dass ich der Tagesschicht auch mit acht Kindern alleine bin.

Praxiskiste: Wie ist das mit der Verpflegung der Kinder? Kochen Sie selbst?

Anna Meier: Unter der Woche gibt es Köche, die nur für unsere Gruppen kochen. Am Wochenende müssen wir uns selbst um das Essen kümmern. Da gibt es dann halt Kleinlichkeiten und manchmal können auch die Kinder helfen. Gestern haben wir gemeinsam Kürbissuppe gekocht.

Praxiskiste: Ganz allgemein gefragt: Warum arbeiten Sie mit Kindern? Was macht Ihnen Spaß?

Anna Meier: Ich liebe Kinder und will ihnen helfen, dass sie wieder auf den richtigen Weg kommen. Natürlich ist es manchmal unfassbar anstrengend. Ich musste vor Kurzem erst die Polizei rufen, weil ein Junge Feuerzeuge wollte, diese nicht bekommen hat und dann die Verkäuferin schlagen wollte. Er raucht auch immer Zigarettenstummel und versteckt im ganzen Umkreis Feuerzeuge, so dass wir diese nicht finden können. Als die Polizei dann eintraf, hatte er sich schon wieder beruhigt und alles war wieder normal – aber er ist wohlgemerkt immer noch zwölf Jahre alt und wollte eine Verkäuferin zusammenschlagen. Man muss ihm halt ein bisschen drohen mit der Polizei und dann kommt er wieder runter, alles andere hilft nicht wirklich bei ihm.

Praxiskiste: Kommt so etwas häufiger vor?

Anna Meier: Nein, das sind wirklich Ausnahmen, die meisten Kinder sind echt sehr lieb. Es freut mich einfach, wenn man sieht, dass sich die Kinder in ihrem Verhalten verbessern. Ich hatte erst ein siebenjähriges Mädchen, das konnte nicht selbständig auf die Toilette gehen und hat immer in die Hose gemacht. Nach ein paar Wochen wurde es immer besser. Da merke ich einfach, was dieser Job einem bringt. Ich habe mich so gefreut für dieses Mädchen. Es sind zwar nur kleine Schritte, aber ich bin theoretisch dafür verantwortlich, dass diese Kinder wieder zurück zu einem normalen Leben geführt werden. Stand jetzt würde ich nichts anderes machen.