Mit Qualität gegen den Vertrauensverlust
Die Medien befinden sich in einer Vertrauenskrise. Durch die Netzwerke kursiert das Schlagwort »Lügenpresse«. Den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk trifft die Kritik oft am härtesten. Dr. Andreas Narr ist seit über dreißig Jahren Journalist. Er produzierte unter anderem Beiträge für die Tagesschau, die Tagesthemen und war jahrelang in führender Funktion beim SWF tätig. Seit 1998 leitet er das SWR-Studio in Tübingen. Wir sprachen mit ihm über unabhängige Medien, den Wandel im Journalismus und die beruflichen Anforderungen an
die Journalisten von morgen.
Praxiskiste: Warum wollten Sie Journalist werden?
Andreas Narr: Weil ich neugierig bin, weil mich die Ereignisse auf der Welt interessieren, weil ich der Meinung bin, dass es wichtig ist, bestimmte gesellschaftliche Zusammenhänge selber zu begreifen und sie dann weiter zu geben… Und weil der Job einfach unheimlich Spaß macht.
Sie sind Mitbegründer der Tübinger Mediendozentur. Wie ist die Arbeit als Dozent, wenn man so nah an der Praxis ist wie Sie?
Sehr spannend, weil ich von den Studierenden natürlich auch lernen kann. Für mich ist es extrem wichtig, mich mit jungen Leuten auszutauschen und zu erfahren, was sie für ein Verständnis von Medien haben – von der Umsetzung von Themen und den Dingen, die um uns herum passieren. So kriege ich wahnsinnig viele Impulse aus den Reihen der Studierenden. Außerdem gebe ich gerne mein eigenes Wissen weiter.
Sie sind seit 1998 Studioleiter des SWR Tübingen. Produzieren Sie in dieser Position noch Beiträge?
Ja, ab und zu. Natürlich mache ich zu wenige Beiträge, aber als Studioleiter hat man eben einen anderen Auftrag. Ich bin eher in der Administration tätig und muss für gute Arbeits- und Rahmenbedingungen sorgen. Wir sind in einem enormen digitalen Veränderungsprozess. Da ist es wichtig, die Kolleginnen und Kollegen zu begleiten, sie zu beraten und gemeinsam mit ihnen neue mediale Konzepte zu entwickeln.
Bei diesen vielfältigen Tätigkeiten, die ja weniger mit der Recherche zu tun haben, würden Sie sagen, dass Sie sich noch als Journalist verstehen?
Ein Journalist bleibt immer ein Journalist. Neugierig bleibe ich immer. Ich nehme an allen Redaktionskonferenzen teil und bringe mich ein. Zwar bin ich nicht mehr so stark operativ tätig, aber ich höre die Programme und schaue an, was die Kolleginnen und Kollegen machen. Ich freue mich dann auch immer wieder, wenn etwas gut gelungen ist. Mit dem Herzen bin ich an allem beteiligt, was hier in diesem Studio produziert wird.
Journalismus im digitalen Zeitalter
Was muss ein guter Journalist heutzutage mitbringen?
Im Grunde das, was er früher auch mitbringen musste: Neugier, eine schnelle Auffassungsgabe und Spaß am Texten und an Bildmedien. Ein bisschen selbstdarstellerisch muss er auch sein. Das A und O ist jedoch die Recherche: Wer das Recherchehandwerk beherrscht, hat auch in der schnelllebigen Welt von heute gute Voraussetzungen als angehender Journalist.
Allerdings kann man beobachten, dass sich die Arbeitsbedingungen für junge Journalisten verschlechtert haben. Wie empfinden Sie das beim SWR?
Wir befinden uns gerade in einem immensen Umbau- und Sparprozess. Daher ist klar, dass wir heute nicht mehr im gleichen Umfang junge Kolleginnen und Kollegen einstellen können, wie das früher der Fall war. Aber wir kommen hier beim SWR immer wieder mit jungen Leuten in Kontakt, die einen guten Job machen. Die haben auch heute noch ganz gute Möglichkeiten, weiter zu kommen.
Vorteile für den Berufseinstieg
Kann man als »studierter Journalist« von der Uni in der Praxis Fuß fassen?
Am besten ist, man studiert einfach ein ganz normales Fach. Das heißt, man profiliert sich in einer Disziplin – ob das Naturwissenschaften sind, ob das Jura oder auch Medizin ist, spielt gar keine Rolle. So hat man ein fundiertes Basiswissen. Darauf sattelt man auf und macht eine journalistische Ausbildung, zum Beispiel ein Volontariat.
Und was würden sie einem Studierenden der Medienwissenschaft sagen? Erfüllt er diese Qualifikationen?
Medienwissenschaftler haben oft schon eine Berufsausbildung vor dem Studium gemacht oder bringen anderes Know-How mit. Meines Erachtens nach haben sie dazu noch einen ganz entscheidenden Startvorteil: Die Universität gibt ihnen die Möglichkeit, Dinge zu erproben, die sie hinterher bei uns brauchen.
Mit Qualität Vertrauen stärken
Die Medien sind im Moment in einer sehr schwierigen Lage. Durchleben sie ein Vertrauenskrise?
Wir haben sicher eine Vertrauenskrise. Dagegen können wir nur ankommen, indem wir ganz stringent unseren Weg gehen. Und der heißt: Qualitätsjournalismus. Das mag ein Schlagwort sein, aber dahinter steckt, dass wir den Dingen auf den Grund gehen, dass wir objektiv und unabhängig bleiben und tiefgründig recherchieren. So können wir gewährleisten, dass sich unser Publikum eine persönliche Meinung bilden kann. Das ist unser ganz zentrales Ziel.
Aber gibt es in Zeiten von Social Media überhaupt noch Zeit für den Qualitätsjournalismus?
Wir müssen uns die Zeit nehmen. Ich glaube die Menschen sehnen sich früher oder später nach Ordnung und Orientierung. Hier möchte ich das Beispiel Tagesschau nennen. Die Tagesschau ist das Flaggschiff in der deutschen Nachrichtenlandschaft und gewinnt auch bei jüngeren Leuten wieder an Akzeptanz. Das ist ein deutliches Signal für mich, dass sich Qualität durchsetzt.
Dennoch hat sich einiges verändert. Wie haben Sie den digitalen Wandel erlebt?
Natürlich ist der Wandel da. Um beim Beispiel der Tagesschau zu bleiben: Zwischen der Tagesschau heute und vor zwanzig Jahren liegen Welten. Die Beiträge sind anders, die Machart ist anders. Selbstverständlich werden die Inhalte der Tagesschau mittlerweile auch auf Facebook angeboten und es gibt eine »Tagesschau in 100 Sekunden«. Das inhaltliche Online-Angebot ist allgemein breit gefächert. Entsprechend ist es auch beim SWR: Unser Ziel muss es sein, Inhalte unabhängig von den Verbreitungsplattformen zu kreieren. Wir strahlen dort aus, wo unser Publikum ist. Und das nutzt selbstverständlich auch Social Media-Angebote.
Hat es in der Praxis der Inhalte-Generierung auch einen Wandel gegeben?
Ja, weil alles immer schneller gehen muss, das merke ich auch bei uns. Vielfach haben Kolleginnen und Kollegen keine Zeit mehr, Themen zu durchdringen und tiefgründig zu recherchieren. Und wenn man auf ein bestimmtes Ereignis nicht gleich reagiert, weil man Zeit zum Recherchieren braucht, setzt man sich dem Vorwurf aus, man sei ein verschlafenes Medium. Wichtig ist also, gut und schnell zu sein. Da stoßen wir manchmal an unsere Grenzen, aber dieser Herausforderung müssen wir uns stellen.
Unabhängig netzwerken
Regionale Medien haben den Vorteil, dass sie nah an Institutionen und an Personen des öffentlichen Interesses dran sind. Insbesondere die persönliche Nähe kann aber auch zum Problem werden. Wie können lokale Redakteure die journalistische Distanz zu regionalen Größen, wie Politikern, wahren?
Regionalität ist für uns als Regionalstudio natürlich ein sehr wichtiges Kriterium. Wir haben die zentrale Aufgabe in einer Region alle wichtigen Themen journalistisch umzusetzen. Und dafür braucht man Netzwerke. Wenn irgendwo etwas passiert, wissen wir im Studio, wen wir anrufen und fragen müssen und wo es die Hintergrundinformationen gibt. Das ist ein unglaublicher Wert. Natürlich sind wir trotzdem unabhängig und diese Unabhängigkeit gilt überall, egal ob bei der Tagesschau, in einem Außenstudio oder in einem Regionalbüro. Auch wenn man Netzwerke zu Politikern hat, kungelt man nicht mit ihnen. Man bleibt immer auf Distanz und ist der neutrale Beobachter.
Sind die Öffentlich-Rechtlichen noch unabhängig, obwohl sie die Plattformen sozialer Netzwerke wie Facebook und co. als Verbreitungskanäle benutzen?
Ja, allein schon dadurch, dass wir kein Geld damit verdienen müssen. Wir haben keine wirtschaftliche Interessen und atmen darum ziemlich frei. Dadurch können wir gegenüber unseren privaten Mitbewerbern und Social Media-Inhalten wirkliche Akzente setzen. Ich empfinde das als eine sportliche Herausforderung für uns.
Das Interview entstand in einem Master-Seminar der Medienwissenschaft an der Universität Tübingen unter der Leitung von Dr. Anne Ulrich.
Ein Projekt von Lisamarie Haas, Marcel Lemmes, Ina Mecke und Katharina Streb.
Das Bild wurde uns vom SWR zur Verfügung gestellt.
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