Rien ne va plus - Der ausgebrannte Student - Praxiskiste
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Rien ne va plus – Der ausgebrannte Student

Dieser Artikel ist offensichtlich etwas anders geartet als die Interviews und Berichte, die wir normalerweise bei der Praxiskiste veröffentlichen. Es geht nicht darum praktische Tipps zu geben oder anregende Geschichten über den Einstieg in die Medien- und Kommunikationswelt zu erzählen. Stattdessen möchte ich heute über mögliche Risiken und Nebenwirkungen sprechen.

 

Als ich anfing zu studieren, hatte ich dieses Bild vom Studentenleben in meinem Kopf: Junge Menschen, die in den Tag hinein leben, die lesen, sich inspirieren lassen, nach links und rechts gucken und viel diskutieren. Studenten waren für mich Menschen, denen die Welt offen steht und die langsam anfangen sich in der Gesellschaft zu verorten und ihren Weg zu finden.

Ich musste schnell feststellen, dass dieses Bild – geprägt von unserer Elterngeneration – für viele von uns nicht mehr zutreffend ist. Stattdessen begegne ich auf meinen Wegen durch die Universität überdurchschnittlich häufig Menschen mit offensichtlichen Essstörungen und auch in meinem Umfeld höre ich Berichte von stressbedingten Tinnituserkrankungen und dem Gefühl einfach keine Kraft mehr zu haben. Auch ich war vor fast einem Jahr an dem Punkt, an dem nichts mehr ging. Ich funktionierte nur noch, konnte mich nur schlecht konzentrieren und bewegte mich irgendwie mechanisch durch mein Leben. Ich musste lernen mein Wohlbefinden über alles zu stellen: Viele von uns haben von Kind auf gelernt immer das Beste zu geben und alles möglich zu machen. Aber in einem System, in dem du mit einem Bachelor-Abschluss keine Garantie mehr auf einen Masterplatz hast und versuchst aberwitzige Kriterien zu erfüllen und noch irgendwie den Statistikkurs in dein letztes Semester zu drücken, in einem solchen System geht dieses Erziehungsmotto häufig nicht mehr auf. Und der Preis scheint nicht selten die eigene Gesundheit zu sein.

Ich habe zusammen mit einer Freundin für die Praxiskiste im Rahmen des Podcasts „Bachelor State of Mind“ bereits das System des Bachelor-Master-Studiums hinterfragt und kritisiert. Damals ging es um die Frage, was der Bachelorabschluss auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich wert ist. Heute stelle ich mir die Frage: Führt die Bologna-Reform und die damit einhergehende Umstrukturierung des Alltags an den Universitäten und Hochschulen vielleicht dazu, dass das Burnout-Risiko für Studenten angestiegen ist? Wie gefährdet sind wir auszubrennen? Was können wir tun, um dies zu verhindern?

Eine kleine Online-Recherche entpuppt sich als erschreckend: Ende 2016 veröffentlichten die Universitäten Hohenheim und Potsdam eine große repräsentative Studie zur Belastung von Studenten in Deutschland. Aus dieser geht hervor, dass über die Hälfte der Befragten ein hohes Stressniveau empfinden. Somit sind Studenten stärker belastet als der durchschnittliche Arbeitnehmer. Eine weitere Studie der AOK zeigt nicht nur, dass weibliche Bachelorstudenten am gestressten sind, sondern auch dass neben den offensichtlichen Faktoren, wie Prüfungen und Abschlussarbeiten, die eigenen Erwartungen eine ganz zentrale Rolle spielen.

Die psychosozialen Beratungsstellen an Hochschulen verzeichnen einen starken Anstieg der Hilfesuchenden: Depressionen, Angstattacken und Schlafstörungen sind die häufigsten Beweggründe. Als Ursache wird nicht selten die starke Strukturierung des Studiums durch die Bologna-Reform genannt – zwar wäre nirgendwo festgelegt, dass man die angesetzten 30 Credit Points pro Semester tatsächlich erlangen muss, aber die Regelstudienzeit zu sprengen, könne vor allem in einigen Fachbereichen den weiteren Weg schwerer gestalten.
Erschreckend ist für mich nicht die Tatsache, dass Studenten gestresst sind – um das zu wissen, muss man nicht Miss Marple heißen. Erschreckend finde ich, dass man nicht darüber spricht. Und genau deswegen tippe ich jetzt diese Worte.

Gestresst zu sein ist eine Sache, aber Depression, Angstzustände und Schlafstörungen – für meine Ohren klingt das wie die Symptome von Burnout. Aber was ist dieses ‚Burnout’? Ich treffe mich also mit Professor Dr. Fallgatter. Er ist der ärztliche Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Tübingen und ich hoffe dem Phänomen der erschöpften Studenten durch seine Hilfe auf die Spur zu kommen.

 

Praxiskiste: Der Begriff ‚Burnout’ taucht zum ersten Mal im Zusammenhang mit Ärzten auf – man versuchte einen Namen für die Frustration der Ärzte zu finden, die sich verausgaben und letztlich nie alle Patienten retten können. Später verband man das Syndrom vor allem mit gestressten Managern und heute spricht man teilweise schon von einer Volkskrankheit. Was ist Burnout? Was sind die Symptome und was ist der Unterschied zwischen einer temporären Phase der Erschöpfung und einem Burnout?

Fallgatter: Vorneweg für die Psychiatrie ist Burnout keine relevante Diagnose. Das heißt, wenn man mit Hilfe unseres diagnostischen Schlüssels eine Codierung für ‚Burnout’ verschlüsselt, würde man von der Krankenkasse kein Geld für eine Behandlung bekommen. Das ist in gewisser Weise auch gerechtfertigt, da das Hauptproblem Depressionserkrankungen sind.
Burnout versucht die Situation nun ein wenig so darzustellen, dass es sich um Depressionen handelt, die vor allem berufsbedingt auftreten. Deswegen wird das auch von den Betroffenen eher angenommen – wer ausgebrannt ist, der hat vorher mal für irgendwas gebrannt. Einfach eine Depression zu haben, das ist nichts Schönes, das ist nur etwas Negatives, was Minderwertiges. Das ist der Grund, warum Burnout als diagnostischer Begriff so beliebt geworden ist. Ich behaupte mal, dass es praktisch kein Burnout gibt, der nur berufsbedingt ist. Das würde ja bedeuten, dass während man Ferien hat die Symptome auch wieder verschwinden – das ist in der Regel jedoch nicht der Fall. Daran sieht man, dass es häufig eine tiefer gehende Erkrankung ist, die dann auch diagnostische Kriterien einer Depression erfüllt.
Im Grunde sind das drei Hauptsymptome: Erstens eine gedrückte Stimmung, zum zweiten ein Interessensverlust und zum dritten Konzentrationsstörungen und Antriebsstörungen, vor allem kein Schwung, keine Energie, um auch ganz alltägliche Tätigkeiten wieder aufzunehmen. Und dann gibt es noch jede Menge Nebensymptome. Die reichen von Schlafstörungen, Tagesrhythmusstörungen, Appetitverlust und Libidoverlust hin zu Konzentrations-, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen, die für den Betroffenen teilweise so schlimm sein können, als würde er unter beispielsweise einer Alzheimererkrankung leiden. Und häufig sind dann auch noch die Suizidgedanken dabei. Suizidalität ist ein großes Thema bei allen depressiven Menschen.

Also kurz gesagt- Burnout ist eher ein Einstiegsbegriff in Richtung einer depressiven Erkrankung. Dadurch hat er im gewissen Sinne eine Berechtigung, weil er so manchen Menschen, die das sonst vielleicht nie zulassen würden, einen Weg eröffnet sich Unterstützung und Hilfe zu suchen. Man sollte das nicht auf die leichte Schulter nehmen.

In zahlreichen Studien wird festgestellt, dass Studenten seit der Bologna-Reform wesentlich gestresster sind als zuvor. Sie haben zuvor davon gesprochen, dass es keinen Burnout gibt, der berufsbedingt ist – kann Stress denn generell ein Auslöser sein?

Ja, es ist sicher so, dass Stress ein genereller Faktor ist, der die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer depressiven Krankheit bei Menschen mit der entsprechenden Veranlagung erhöht. Und Stress kann natürlich in allen möglichen Kontexten auftreten – auch durch die Verdichtung von Studiumsleistungen, mehr Anforderungen und kürzeren zeitlichen Vorgaben für gewisse Aufgaben.
Man muss sich jedoch davon frei machen, immer für jede depressive Krankheitsphase einen Auslöser im Leben finden zu wollen. Das sind im hohen Maße Erkrankungen, die angelegt sind, das heißt biologisch durch die Gene determiniert. Wir haben viele Patienten, die haben depressive Phasen und man findet beim schärfsten Suchen und beim besten Willen keinen Auslöser.

Kann ich denn lernen mit besonders stressigen Zeiten umzugehen? Gibt es Präventivmaßnahmen, um die Kontrolle zu behalten?

Generell sollte man versuchen die Anforderungen relativ gut zu verteilen. Also es ist sicher keine gute Idee für ein Examen drei Nächte vorher anzufangen und durchzulernen. Wenn man die Veranlagung in Richtung einer Depression hat, dann besteht natürlich ein hohes Risiko etwas auszulösen. Auch bedingt durch den Schlafmangel. Und dann auch schauen, wo es Ressourcen im Leben gibt, wo man sich auch wieder aufbauen kann. Also auch in Prüfungsphasen schauen, dass man seinen Sport weitermacht, dass man seine Beziehungen, Kontakte pflegt, dass man Freunde hat und dass man auch seine Hobbies nicht völlig vernachlässigt, sondern versucht das alles im Leben in sinnvollen Einklang zu bringen.

Ab und an hört man von der Unterscheidung zwischen gutem Stress und schlechtem Stress. Ist das eine Unterscheidung, die alleine von mir ausgeht, das heißt wie ich den Stress wahrnehme. Oder gibt es Stressarten, die Menschen einfach grundsätzlich nicht gut tun?

Ich würde mal sagen: Stress ist Stress. Es ist natürlich günstiger, wenn man ihn gut bewerten kann – als positiv bewerten kann. Aber letztendlich passiert im Körper das Gleiche. Sie lösen eine Stressreaktion aus. Wir Menschen haben ein Hormonsystem – ein Cortisolsystem – das dann hochgefahren wird. Das ist gut für akute Stresssituationen, aber ungeeignet für länger anhaltende Situationen, wodurch dann eben auch wieder die Depressionswahrscheinlichkeit erhöht ist. Man weiß bei Menschen mit depressiven Erkrankungen, dass sie trotz der Antriebslosigkeit nicht innerlich entspannt sind, sondern hoch angespannt und ein hochaktiviertes Stresssystem haben.

Wenn es mir wirklich anhaltend schlecht geht und ich Hilfe brauche, wie einfach ist dann der Zugang zu einem Therapieplatz?

Jeder Mensch der krank ist – und eine Depression ist eine Erkrankung -, hat Anspruch auf eine Behandlung. Es ist eine Eigenschaft der Krankheit, dass die eigene Fähigkeit sich um sich selbst zu kümmern – generell die Energie und Kraft zu haben sich Hilfe zu suchen – krankheitsbedingt eingeschränkt ist. So dass man dann häufig Unterstützung aus dem Familien- und Freundeskreis braucht, um überhaupt mal den ersten Schritt zu einem Psychiater oder Psychotherapeuten zu gehen. Dann braucht man eine gute Diagnostik, das heißt es muss auch wirklich diagnostiziert werden, ob eine depressive Erkrankung vorliegt und nicht irgendwas anderes, was zum Beispiel körperliche Ursachen hat und auch wie schwer die Depression ist. Davon abhängig kann man anschließend schauen, ob man eine Behandlung bekommt. Und die ist nicht immer eins zu eins gleich. Es gibt viele verschiedene Behandlungsansätze, die auch in Kombination gemacht werden können und die Kunst ist für den einzelnen dann auch das passende zu finden. Die Behandlung kann zum Beispiel ambulant sein. Wenn aber jemand schwer depressiv ist, dann ist das schon eher was für eine stationäre Behandlung, die dann meistens auch kombiniert medikamentös-psychotherapeutisch gemacht wird.
Wenn man dann eine Behandlung erhält, ist es wichtig diese nicht vorzeitig abzubrechen, sobald man sich wieder gut fühlt. Aus Zeiten, zu denen man Depressionen noch nicht behandeln konnte, weiß man, dass diese Phasen in der Regel zwischen sechs Monate und einem Jahr anhalten. Eine erfolgreiche Therapie sollte sich daher an diesem Zeitrahmen orientieren.
Für den Psychiater gibt es an sich nichts Schöneres als die Depressionsbehandlung, weil es eigentlich fast immer klappt. Zumindest wenn man alle Möglichkeiten zur Verfügung hat und diese kombiniert einsetzen kann.

Glauben Sie, dass unser Leben heutzutage stressiger ist? Meine Großeltern haben ja beispielsweise ein Leben geführt, das viel stärker vorgezeichnet war. Heute hat man keine großen Einschränkungen mehr, sondern eine Bandbreite an Möglichkeiten einzusteigen und seinen Weg zu gehen. Die Tatsache, dass ich so viele Möglichkeiten habe kann ja aber auch in einer Orientierungslosigkeit, einem Gefühl von Ohnmacht resultieren. Viele Möglichkeiten zu haben, ist ja eine zuweilen sehr stressige Angelegenheit.

Das kommt darauf an, wie man selbst das alles bewertet. Man kann ja auch die Chancen sehen. Also ich weiß nicht, ob sich in Ihrer Generation nicht auch was am Anspruch im Hinblick auf die Sicherheit im Leben verändert hat. Man kann nie den Weg genau planen, weil es zu viele Faktoren gibt, die man nicht beeinflussen kann. Trotzdem scheint es ein erhöhtes Bedürfnis nach Sicherheit wieder zu geben.

Was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass durch die Globalisierung auch der Konkurrenzdruck größer wird und sich der Markt verändert hat.
Was mich in gewisser Weise zu der Frage bringt, ob der Mensch überhaupt dafür geschaffen ist, um in einer so schnelllebigen Welt zu funktionieren? Kann der Mensch in seiner ‚ursprünglichen Form’, sprich biologisch, das händeln?

Ich glaube schon. Das Gehirn ist ein unglaublich flexibles Organ, was sich auf ganz unterschiedliche Bedingungen einstellen kann. Man muss nur für sich sehen, dass man einen Sinn darin sieht. Ist dies nicht der Fall, kann es natürlich sein, dass einem das dann alles sehr negativ vorkommt. Man sollte auf sich schauen und sich eben auch fragen, wie viel man persönlich verkraften und sich zumuten kann.

Das Gespräch mit Dr. Fallgatter hat mich ein wenig beruhigt: Nicht jede Phase der Erschöpfung ist gleich ein Burnout. Aber immerhin trägt fast ein Fünftel der Weltbevölkerung die Veranlagung für eine depressive Erkrankung in sich. Ihre Gene können bedingt durch dieses System, das Studenten nachweislich zu Dauergestressten macht, zu einer tickenden Zeitbombe werden. Und eine Depression sollte auf keinen Fall auf die leichte Schulter genommen werden.
Was mich betrifft, so habe ich den Statistikkurs abgebrochen. Ich kann nicht alle Kriterien auf der Checkliste erfüllen und ich will es auch nicht mehr. Meine Chance auf einen Masterplatz habe ich mit dieser Entscheidung minimiert, aber der Preis war einfach zu hoch – es geht um mein Wohlbefinden, meine Gesundheit. Das Studium ist das von mir gewählte Mittel, um mein Ziel zu erreichen. Es ist aber nicht mein Leben.

 

Von Hanna Schlieder

 

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